Wenn wir auf diese Welt kommen, Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter durchleben, so ist es für uns meist selbstverständlich, dass wir unser gesamtes Sein mit unserem physischen Körper gleichsetzen. Wir identifizieren uns mit unserem Geschlecht und Aussehen. Wir blicken in den Spiegel und sind überzeugt: „Das bin ich.“ In der ersten Lebenshälfte ist das auch durchaus sinnvoll, geht es ja darum, sich voll ins Leben zu stürzen, Erfahrungen zu sammeln, sich selbst und die Welt kennen zu lernen. Wir erfahren unsere Körperlichkeit mit allem, was dazu gehört.
In dieser Phase des Lebens ist der Körper meist noch gesund und stark. Wir leben in der unerschütterlichen Überzeugung, ewig zu leben und betrachten diese Welt als unsere Heimat. Der Gedanke, dass das alles ein Ende haben könnte, liegt uns fern. Es gibt keinen Grund, die Körperidentifikation zu hinterfragen. Ab der Lebensmitte ändert sich das. Langsam dringt die Tatsache ins Bewusstsein, dass die Lebenszeit nicht endlos ist. Wir stellen fest, dass schon mehr Wasser den Fluss hinuntergeflossen ist, als noch kommen wird. Die Zeit, die in der Jugend noch langsam verging, scheint immer mehr zu verfliegen. Dazu kommt noch, dass der Körper erste Anzeichen von Alterung zeigt und den Zenit seiner Leistungsfähigkeit überschritten hat.
Spätestens dann will der Glaubenssatz „Ich bin mein Körper“ hinterfragt werden, denn sonst steuern wir auf einen schweren inneren Konflikt zu. Die absolute Körperidentifikation würde bedeuten, dass mit dem Ende des Körpers auch das Leben als solches endet. So lautet die gängige Lehrmeinung der Wissenschaft, die die Existenz des Bewusstseins untrennbar mit dem Gehirn in Verbindung bringt. Versagt es seinen Dienst, so erlischt das Bewusstsein. Doch stimmt das wirklich oder wird hier etwas Wesentliches übersehen?
Jeder, der schon einmal eine spirituelle Erfahrung, egal welcher Art, hatte, weiß, dass es mehr gibt als nur dieses materielle Leben. Nahtoderfahrungen sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass Bewusstsein auch außerhalb des Körpers existieren kann und dafür kein Gehirn benötigt. Aber es ist nicht einmal nötig, eine Nahtoderfahrung gemacht zu haben, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Es reicht, das eigene Gefühlsleben zu beobachten. Stelle dir einmal folgende Frage: Hat deine Sehkraft mit zunehmenden Alter abgenommen? Wahrscheinlich ja.
Der Alterungsprozess geht mit einer Einschränkung der Körperfunktionen einher. Hat die Intensität deiner Gefühle mit zunehmenden Alter abgenommen? Wahrscheinlich nicht. Menschen können sich mit 70 noch genau so intensiv verlieben wie mit 17. Wie kann es sein, dass sich der Alterungsprozess des Körpers nicht nachteilig auf die Empfindungsfähigkeit auswirkt? Wenn Gefühle nicht dem Alterungsprozess unterliegen, haben sie vielleicht auch gar nicht soviel mit dem Körper und seinen physiologischen Prozessen zu tun, wie landläufig angenommen wird.
Ähnliches gilt für das Bewusstsein: Auch wenn sich dein Körper und deine Persönlichkeit über die Jahrzehnte verändert haben, so bist das alles doch immer noch du. Irgendetwas in dir scheint konstant zu bleiben. Der große deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer sagte:
Wenn man auch noch so alt wird, so fühlt man doch im Innern sich ganz und gar als denselben, der man war, als man jung, ja, als man ein Kind war: dieses, was unverändert, stets ganz dasselbe bleibt und nicht mitaltert, ist eben der Kern unseres Wesens, der nicht in der Zeit liegt und eben deshalb unzerstörbar ist.
Arthur Schopenhauer
Du bist unzerstörbar! Es ist von entscheidender Bedeutung, wie du über deinen Körper und Geist denkst. Deine tiefsten Überzeugungen entscheiden über dein künftiges Schicksal. Deswegen kann ich nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, dir unbewusste Glaubenssätze bewusst zu machen, sie zu hinterfragen und, falls sie sich als Irrtümer herausstellen, zu korrigieren.
Die Außenwelt versucht uns einzureden, wir wären nur unser Körper und mit dem Tod wäre alles vorbei. Wer diesen Glaubenssatz ungefragt übernimmt, bleibt ein Gefangener im Kreislauf von Diesseits und Jenseits. Der spirituelle Mensch löst den Glaubenssatz „Ich bin mein Körper“ auf und ersetzt ihn durch „Ich bin unsterbliches Bewusstsein“. Das geschieht nicht bloß auf Verstandesebene, sondern wächst zu einer Erkenntnis heran, die sein gesamtes Sein durchdringt. Und genau darum geht es bei echter Spiritualität: Die Wahrheit durchdringt die Seele, verwandelt sie und befreit sie aus den Fängen des Irrtums. Sie wird sich ihrer Unsterblichkeit bewusst.
So verlieren Alterung und Tod ihren Schrecken. Der Körper folgt seinem natürlichen Entwicklungsbogen von Geburt, Aufstieg, Niedergang und Tod, während die Seele ihren eigenen Weg geht, den Weg in die Unsterblichkeit. Der im wahren Selbst verankerte Mensch wird immer mehr zum Zuseher. Die körperlichen Einschränkungen belasten ihn seelisch weniger, denn er weiß, dass es sich bei seinem Körper nur um ein vorübergehendes Gefährt handelt. Deswegen wird er die Pflege und Gesunderhaltung trotzdem nicht vernachlässigen, denn der Körper ist das Medium, durch das er die physische Existenz erfährt. Allerdings kettet er sich auch nicht an seine materielle Hülle. Er weiß, dass er mehr ist als sie. Er erhebt sich über ihre Einschränkungen und kann so ein Leben in innerer Freiheit und Gelassenheit führen.
Comments (3)
Respekt! – deine Beiträge sind durchgängig gut und hilfreich. Diesen aktuellen Beitrag kann ich wärmstens empfehlen.
Guter Beitrag. Sachlich und verständlich formuliert. Anstelle des „Niedergangs“ jedoch nehme ich für mich die „Reife“, so wie es auch in der Pflanzenwelt erscheint. Gefällt mir einfach besser. ;)).
Herzlichen Dank, lieber Siegfried 😊